Ich bin Michelangelo und dies ist die Geschichte meines Lebens

Ich bin Michelangelo Buonarroti, Bildhauer, Maler, Architekt und vor allem eine sture, ruhelose, gequälte Seele. Sie nennen mich ein Genie, aber Genie ist keine Gabe – es ist eine Last, ein Feuer, das einen niemals zur Ruhe kommen lässt. 

Ich habe wie ein Verrückter gearbeitet, wie ein armer Mann gelebt und wie ein Krieger gekämpft. Ich bin nicht für Bequemlichkeit geschaffen. Ich bin für Stein und Kampf geschaffen.

Lassen Sie mich Ihnen meine Geschichte erzählen.

Geboren zwischen Stein und Staub

Ich wurde am 6. März 1475 in Caprese, einer kleinen Stadt in der Toskana, geboren. Aber an Caprese kann ich mich nicht erinnern. Als ich noch ein Baby war, zog meine Familie nach Settignano in der Nähe von Florenz. 

Mein Vater, Ludovico di Leonardo Buonarroti, war ein Adliger mit wenig Geld. Meine Mutter, Francesca di Neri, war gebrechlich und kränklich.

Sie konnte sich nicht um mich kümmern, also wurde ich zu einer Steinmetzfamilie geschickt. Ich wuchs umgeben von Meißeln, Hämmern und Marmorstaub auf. Es ist also keine Überraschung, dass ich Bildhauer wurde. Der Stein war meine Wiege, das Schnitzen lag mir im Blut.

Doch die Kindheit dauerte nicht lange. Als ich gerade sechs Jahre alt war, starb meine Mutter. Ich kann mich kaum an ihr Gesicht erinnern. Mein Vater war kalt und distanziert, und ich lernte früh, dass das Einzige, worauf ich mich verlassen konnte, meine eigenen Hände waren.

Mein Vater wollte, dass ich Kaufmann oder Bürokrat werde – etwas Anständiges. Aber ich fühlte mich zu Linien, Formen und Figuren hingezogen. Ich verbrachte Stunden mit Skizzieren, Zeichnen und Träumen. Mein Vater schlug mich dafür. Er sagte, ich würde meine Zukunft verschwenden.

Mit 13 widersetzte ich mich ihm. Ich wurde Lehrling bei Domenico Ghirlandaio, einem der besten Maler in Florenz. Hier lernte ich die Freskomalerei, aber ich war nie zufrieden. Malen war mir nicht genug. Ich wollte schnitzen, Stein zum Leben erwecken.

So fand ich den Weg zu den Medici-Gärten, wo die großen Skulpturen des antiken Roms standen. Nie zuvor hatte ich etwas Schöneres gesehen. Dort traf ich Bertoldo di Giovanni, einen Bildhauer, der einst selbst bei Donatello studiert hatte. 

Er sah etwas in mir – ein Feuer, einen Hunger – und stellte mich Lorenzo de’ Medici, Il Magnifico, dem Herrscher von Florenz, vor.

Der Medici-Hof

Lorenzo nahm mich mit an seinen Hof. Ich lernte bei den größten Denkern der Zeit. Philosophen, Dichter, Künstler – sie alle versammelten sich dort. Ich speiste mit Fürsten und debattierte mit Gelehrten.

Aber ich war nicht bei allen willkommen. Ich war jung, arrogant und talentiert – eine gefährliche Kombination. Die älteren Schüler verachteten mich.

Und dann kam Pietro Torrigiani.

Er war ein Tier, größer und stärker als ich, und er hasste mich. Eines Nachts schlug er mich in einem Anfall von Eifersucht – so heftig, dass er mir die Nase zertrümmerte.

Blut strömte über mein Gesicht. Ich fiel keuchend zu Boden, aber ich vergaß nie die Demütigung, den Schmerz, die Wut. Meine Nase heilte nie richtig. Mein ganzes Leben lang trug mein Gesicht die Spuren dieser Nacht.

Die Pietà

1492 starb Lorenzo de' Medici. Alles änderte sich. Der neue Herrscher, Piero de' Medici, hatte kein Interesse an Kunst. Dann kam Savonarola, der fanatische Mönch, der gegen Luxus, Schönheit und die Medici predigte. Florenz wandte sich gegen genau die Dinge, die ich liebte.

Ich reiste nach Bologna, wo ich Anatomie studierte und heimlich Körper sezierte. Ich wollte die menschliche Form besser verstehen als je zuvor. Ich studierte Muskeln, Knochen und die Art und Weise, wie sich das Fleisch über sie spannte. Ich habe nicht nur Marmor gemeißelt – ich habe Leben gemeißelt.

Dann, im Jahr 1496, kam ich in Rom an. Ich war gerade 21 Jahre alt, hungrig und wollte unbedingt, dass sich jemand bewies.

Sie gaben mir einen Block Carrara-Marmor und ich schnitzte Maria, wie sie den leblosen Körper Christi wiegt – nicht als trauernde Mutter, sondern als Frau ewiger Trauer und Gnade.

Als das Bild enthüllt wurde, glaubte niemand, dass es ein junger, unbekannter Bildhauer gemacht hatte. Ich war wütend. Ich ließ mich nicht ignorieren.

Also schnitzte ich eines Nachts meinen Namen in Marys Schärpe:

MICHAEL ANGELUS BONAROTUS FLORENTINUS FACIEBAT.”

(Das hat der Florentiner Michelangelo Buonarroti gemacht.)

Es war das einzige Werk, das ich jemals signiert habe. Ich habe es sofort bereut. Ein wahrer Künstler muss sein Werk nicht signieren. Sein Werk spricht für sich selbst.

Der David

Florenz rief mich nach Hause. Sie hatten die Medici vertrieben und wollten ein Symbol ihrer neuen Republik. Sie gaben mir einen zerstörten Marmorblock, der 40 Jahre lang verlassen war. Andere hatten versucht, ihn zu bearbeiten. Alle waren gescheitert.

Als ich den Block zum ersten Mal sah, spürte ich sein Potenzial. Wo andere Ruinen sahen, sah ich ihn drinnen warten –David, der junge Held, der sich dem Riesen entgegenstellte, als andere zurückschreckten. Ein perfektes Symbol für Florenz, das sich trotzig gegen größere Mächte auflehnt.

Drei Jahre lang arbeitete ich im Verborgenen. Mein Atelier wurde zu meinem Gefängnis, meinem Zufluchtsort. Ich schlief wenig und aß noch weniger. Ich arbeitete die ganze Nacht hindurch, eine einzige Kerze war mein einziges Licht, und das Geräusch meines Meißels, der auf den Stein schlug, hallte in der Dunkelheit wider. Ich meißelte alles weg, was nicht David war.

Dies war keine einfache Statue. Ich habe den triumphierenden Jungen, der über Goliaths abgetrenntem Kopf steht, nicht gemeißelt. Nein – ich habe ihn in diesem Moment der Entscheidung festgehalten, diesem schrecklichen, wunderschönen Augenblick vor der Tat. Seine Augen sind auf seinen Feind gerichtet, sein Körper ist angespannt, seine Hand umklammert den Stein. Jede Ader, jeder Muskel, jede Sehne bereit für das, was kommen muss.

Der Marmor schien unter meinen Händen zu atmen. Der Stein war kein Stein mehr, sondern Fleisch – lebendig, denkend, fühlend. Mit jedem Schlag meines Meißels befreite ich, was immer da gewesen war und gewartet hatte.

Als er 1504 enthüllt wurde, schnappte Florenz nach Luft. David war die Vollkommenheit. Mit einer Größe von über vier Metern überragte er die Menge, ein fleischgewordener Koloss aus Marmor. Man brachte ihn auf die Piazza della Signoria, an den Eingang zum Palazzo Vecchio – ein Wächter, eine Warnung an alle, die die Freiheit von Florenz bedrohen würden.

Ich hörte das Flüstern: „Wie hat er solch ein Leben aus Stein gemeißelt?“ „Das kann doch kein Mensch gemacht haben.“ Aber ich kannte die Wahrheit. Ich hatte David nicht erschaffen. Ich hatte ihn nur im Marmor gefunden, wo er darauf wartete, befreit zu werden.

Die Sixtinische Kapelle: Meine größte Qual

Der kriegerische Papst Julius II. berief mich nach Rom. Er wollte ein großes Grabmal, ein Denkmal seiner Größe. Ich entwarf es – 40 Statuen von kolossaler Größe.

Dann änderte er seine Meinung.

„Streichen Sie stattdessen die Decke meiner Kapelle“, befahl er.

Ich war wütend. Ich war Bildhauer! Kein Maler! Aber niemand lehnte Julius II. ab.

Vier Jahre lang lag ich auf dem Rücken, Farbe tropfte mir in die Augen, meine Arme verkrampften sich. Ich stritt mit meinen Assistenten, mit dem Papst, mit mir selbst. Aber ich habe es geschafft.

Als das Schafott niedergerissen wurde, blickte Rom auf und erblickte die Schöpfung selbst.

Adam greift nach der Hand Gottes.

Die Propheten, die Sibyllen, die Sintflut, die Vorfahren Christi.

Sie nannten es göttlich. Ich sah nur meine Fehler.

Die Sixtinische Kapelle: Meine größte Qual

Victoria Colonna: Die Frau, die meine Seele verstand

In meinem hohen Alter, als mein Körper versagte, mein Geist aber noch brennend war, traf ich Victoria Colonna, die Marquise von Pescara. Sie war keine gewöhnliche Aristokratin – sie war eine Dichterin von außergewöhnlichem Talent, eine Frau von tiefem Glauben und die erste Person, die den Sturm in meiner Seele wirklich verstand. Ich war fast sechzig, als sich unsere Wege kreuzten, und sie war eine Witwe, die sich der spirituellen Kontemplation widmete. Wir tauschten Briefe, Gedichte und Zeichnungen aus. Ich skizzierte Christus am Kreuz für sie und sie schrieb Sonette, deren Klarheit mein Herz durchbohrte.

Verstehen Sie mich nicht falsch – sie war eine Freundin, nichts weiter. Ich habe nie geheiratet und nie Kinder gezeugt. Meine Skulpturen waren mein Vermächtnis, meine einzigen Nachkommen. Die Ehe war für Männer, die Trost brauchten; ich brauchte nur Marmor und Einsamkeit. Aber Victoria … sie war anders. Anders als die Gönner, die nur meine Hände sahen, sah Victoria meinen Geist. Wir berührten uns nie – unsere Verbindung ging über das Körperliche hinaus – und doch brachte sie eine Wärme in meine Winterjahre, die ich nie gekannt hatte.

Als sie 1547 starb, stand ich an ihrem Bett, küsste ihre Hand und schrieb später: „Der Tod raubte mir meine große Freundin, den einzigen Spiegel, in dem ich mich selbst sah.“ Nachdem sie fort war, zog ich mich noch tiefer in die Einsamkeit und meine Gespräche mit Stein und Gott zurück.

Meine letzten Jahre: Bis zum Schluss Bildhauer

Meine letzten Jahrzehnte verbrachte ich in Rom, aber stellen Sie sich kein Leben im Luxus vor. Zu dieser Zeit war ich unermesslich berühmt, doch ich lebte wie immer – einfach, fast wie ein Mönch. Mein Zuhause war im Quartiere dei Corvi, einem armen, schmutzigen Viertel, das nichts mit den großen Palästen der Päpste und Kardinäle zu tun hatte, die meine Arbeit suchten.

Mein Haus war klein, kalt und spärlich möbliert. Es gab keine Reichtümer, keine Dekorationen, nichts, was darauf hindeutete, dass hier der größte Künstler der Zeit lebte. 

Nur Skizzen, unvollendete Skulpturen und Briefe, die auf groben Holztischen gestapelt waren. Meine Kleidung? Alt, zerfetzt, mit Marmorstaub bedeckt. Die Bediensteten beschwerten sich, dass ich sie selten wechselte. Ich aß wenig, schlief weniger und arbeitete immer.

Und doch änderte sich in diesen letzten Jahren etwas.

Ich hatte mein Leben damit verbracht, Monumente der Stärke, Erhabenheit und göttlichen Vollkommenheit zu erschaffen. Doch das Alter macht einen demütig. Meine Hände, einst fest, begannen zu zittern. Mein Körper, einst unermüdlich, schmerzte. Der Michelangelo, der den David gemeißelt hatte, war verschwunden.

Da wandte ich mich der Pietà Bandini zu.

Die Pietà Bandini: Die Skulptur, die ich nicht fertigstellen konnte

Ich hatte schon einmal eine Pietà gemeißelt, vor langer Zeit, in meiner Jugend – die perfekte, glatte, göttliche Pietà des Petersdoms. Aber diese Pietà … diese war anders.

Ich strebte nicht mehr nach Perfektion. Ich suchte nach der Wahrheit.

Ich begann, den leblosen Körper Christi zu schnitzen, der über die Arme der Jungfrau Maria, Maria Magdalena und Nikodemus gelegt war. Aber ich habe nicht nur Nikodemus modelliert, sondern auch mich selbst.

Ich schnitzte mein eigenes Gesicht in die vermummte Gestalt, nicht als Künstler, sondern als alter Mann, müde, belastet von der Zeit. Ich hatte mein Leben damit verbracht, Stein zum Leben zu erwecken, doch jetzt fühlte ich mich so leblos wie der Marmor, den ich gemeißelt hatte.

Jahrelang arbeitete ich daran, aber etwas quälte mich. Der Stein wehrte sich gegen mich. Es traten Fehler auf, Risse breiteten sich aus. Ich wurde frustriert und verzweifelt. Eines Nachts nahm ich in einem Wutanfall einen Hammer und schlug darauf – dabei zerschmetterte ich Christus‘ Arm und Bein.

Aber ich konnte es nicht vollständig zerstören. Das Feuer in mir war zwar schwächer geworden, aber es war nicht erloschen. Ich ließ das Stück liegen und überließ es meinem Assistenten Tiberio Calcagni, der versuchte, das wiederherzustellen, was ich zerstört hatte. 

Die Wahrheit ist jedoch, dass die Pietà nie fertiggestellt werden sollte.

Es war ein Spiegelbild meiner selbst – eines Mannes am Ende seiner Reise, der mit Zweifeln, mit dem Glauben und mit der Zeit selbst kämpft.

Die letzten Tage

Ich wusste, dass mein Ende nahte. Mein Körper wurde schwächer, aber mein Geist blieb scharf. Ich schrieb Briefe, zeichnete wie besessen und diktierte Gedichte voller Trauer und Sehnsucht nach Gott.

In der Nacht des 18. Februar 1564 fühlte ich die Last der Jahre auf mir lasten. Kein großer Abschied, keine dramatische Szene – nur ein Mann, der in seinem ärmlichen Heim lag und dahinschien.

Die letzte Reise nach Hause

Selbst im Tod konnte ich Kontroversen nicht entgehen. Ich starb in Rom, aber mein Herz gehörte immer Florenz. Mein Neffe Leonardo wusste das besser als jeder andere.

Doch Rom wollte das, was es für sich beanspruchte, nicht so leicht aufgeben. Papst Pius IV. wollte mich im Petersdom begraben, in der Nähe meiner Arbeitsstätte, unter den großen Männern Roms. Leonardo, stur wie sein Onkel, weigerte sich. Mitten in der Nacht ließ er meinen Leichnam in ein Tuch hüllen und auf einen einfachen Karren laden, als wäre ich nichts weiter als ein Paket mit Waren oder ein Sack Getreide.

Wie Diebe schmuggelten sie mich aus Rom – ich hätte über diese Absurdität gelacht. Der Mann, der Berge versetzt hatte, der große Michelangelo, schmuggelte mich wie verbotenen Wein.

Als sie schließlich Florenz erreichten, brach in der Stadt Trauer und Stolz aus, als man erfuhr, dass ihr Sohn zurückgekehrt war. 

Sie gaben mir, was Rom mir verweigert hatte – eine Beerdigung, die meines Namens würdig war. Drei Wochen nach meinem Tod versammelten sich die Florentiner in der Kirche San Lorenzo und dann in Santa Croce, um den Mann zu ehren, den sie immer als ihren eigenen beansprucht hatten.

Sie begruben mich in Florenz, in dem Land, das mich geprägt hatte.

Und so verließ ich diese Welt, wie ich in ihr gelebt hatte, Ich bin Michelangelo und dies ist meine Geschichte.

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